Der Strukturwandel und das Sachsenproblem
Bad Muskau / Mužakow | Schleife / Slepo, 6. November 2015. In einer gemeinsamen Pressemitteilung haben sich die Stadt Bad Muskau, die Gemeinde Schleife und der Landtagsabgeordnete Thomas Baum (SPD) an die Öffentlichkeit gewandt. Der Weißwasseraner Anzeiger veröffentlicht diese im Wortlaut – allerdings nicht ohne Kommentar.
Gemeinsame Pressemitteilung "Strukturwandel in der Lausitz“
Die Pressemitteilung im Wortlaut:
Die von den Auswirkungen der momentanen Energiepolitik der Bundesregierung betroffenen Kommunen in der sächsischen und brandenburgischen Lausitz haben am 13.10.2015 einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin und die Länder Sachsen und Brandenburg gesandt und darin Unterstützung im anstehenden Strukturwandel gefordert.
Der Oberlausitzer Landtagsabgeordnete Thomas Baum, SPD, nahm das zum Anlass, um am 04.11.2015 ein Gespräch im Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr zu organisieren und das Thema in einem ersten Gespräch zu erörtern.
In betont offener und konstruktiver Atmosphäre diskutierten u.a. Thomas Baum und die Bürgermeister Andreas Bänder (Stadt Bad Muskau) und Reinhard Bork (Gemeinde Schleife) mit Staatssekretär Stefan Brangs und baten um Unterstützung in dem sich deutlich abzeichnenden Strukturwandel.
Herausgestellt wurde in diesem Auftaktgespräch die Vielschichtigkeit der Aufgabe und die Bedeutung des Strukturwandels, von dem die Lausitz offensichtlich zuerst betroffen sein wird. Hierzu sagte Thomas Baum: „Der Strukturwandel ist nicht auf die Oberlausitz beschränkt, ich nehme mich dieser Aufgabe zukünftig verstärkt an.“ Das Treffen selbst war eine Art erste Kontaktaufnahme und soll auf breitere Beine gestellt werden, um mit möglichst vielen Akteuren ins Gespräch zu kommen.
Staatssekretär Stefan Brangs stellte klar, dass die Lausitz von großer, nicht nur wirtschaftlicher Bedeutung für Sachsen ist: „Das Thema Strukturwandel ist uns nicht neu, wir sind bereits in verschiedenen Gesprächen dazu. Wir wissen, dass wir die Menschen in der Lausitz nicht im Stich lassen dürfen.“ So würden auch Kommunen in der Lausitz von der neuen Breitbandoffensive des Freistaates profitieren können.
Die Bürgermeister aus Schleife und Bad Muskau waren erfreut über die avisierte Unterstützung. Reinhard Bork dazu: „Es war ein erstes und erfreulich gutes Gespräch zum Thema Strukturwandel, ich freue mich sehr über die offene Tür im Ministerium und die Unterstützung zur Verbesserung der Internetversorgung in unseren Orten.“ Andreas Bänder ergänze: „Das Angebot von Staatssekretär Stefan Brangs sich mit uns vor Ort zu treffen, werden wir annehmen. Gemeinsam werden wir unsere Ideen zum Strukturwandel weiterentwickeln und dann unsere Einladung aussprechen.“
Kommentar
Eigentlich reicht als Kommentar ein einziges Wort: Sülz. So ein richtiger Sülz – als ob der "Strukturwandel" eine einmalige Erscheinung sei, durch die man nur durch müsse.
Schaut man sich die Mitteilung näher an, finden sich kaum Lösungsansätze, erfolgversprechende schon gar nicht:
Kann man Hilf- und Ahnungslosigkeit eigentlich besser dokumentieren? Agieren so Politiker und Verwaltungsspitzen, die ihre Wähler durch den Wandel zu führen haben? Wo ist der Masterplan Lausitz, wo ist die grundlegende Strategie mit dem Ziel, dass die Menschen ein sinnerfülltes Leben bei ausreichendem Wohlstand führen können?
Sachsen hat in den letzten 25 Jahren viel Pulver verschossen mit seiner - irgendwo habe ich das aufgeschnappt - technokratischen Regierung. Voller Stolz auf eine hohe Investitionsquote glaubte man bisher, alles Gute würde von allein hinterherkommen. Vielleicht glaubt man's sogar noch immer.
Gekommen aber ist längst eine Aufspaltung der Gesellschaft in jene, die im sprichwörtlichen Boot sitzen, weil sie – wie auch immer – über Beschäftigung und ausreichendes Einkommen verfügen, und in jene, die von der Gesellschaft ausgespuckt wurden: langzeitarbeitslos und sich mittlerweile als verfestigtes Prekariat selbst reproduzierend.
An dieser Stelle schafft sich die "soziale Marktwirtschaft" – noch gibt es sie – ab: Wenn sie nach den Spielregeln der Industriegesellschaft auf die Probleme einer Gesellschaft reagieren will, von der wichtige Industriesparten längst in andere Länder abgewandert sind mit der Folge, dass großenteils nur noch hochqualifizierte Arbeitnehmer gefragt sind, die breite Masse aber sich selbst, den Unterschichtenmedien und politischen Rattenfängern überlassen bleibt.
Nicht mal das Kernproblem der Lausitz haben die Politiker in ihrer Mitteilung angesprochen: Den nach dem auf den Weg gebrachten Atomausstieg folgenden Kohleausstieg. Das ist ein Prozess voller Chancen, wenn man nur endlich aufhört, von Arbeitsplätzen und Investoren zu palavern. Es ist bedrückend, wenn junge Leute mit Potenzial heutzutage ihren Traumjob in einer Verwaltung sehen: abgesichert und planbar bis zur Rente.
Die Gängelei hat dazu geführt, dass Arbeitslose eine Arbeitsstelle vom Jobcenter (welch ehrabschneidender Begriff, einen Arbeitsplatz auf einen "Job" zu reduzieren) erwarten, eigene Bewerbungsbemühungen werden nur unternommen, um Auflagen der Behörde nachzukommen.
Unternehmergeist? Verdampft sofort angesichts von Vorschriften und Hürden. Mindestlohn und Arbeitszeitgesetz – beschlossen von Leuten, deren Problem nicht der Mindestlohn, sondern die eigene Maximalgage ist – verhindern neuerdings noch effizienter als je zuvor das Wachstum von kleinen und Kleinstunternehmen, wie sie in strukturarmen Gegenden wie eben der Lausitz nötig wären. Dass jemand Spaß an seiner Arbeit haben könnte, passt dabei überhaupt nicht ins Regularium.
Stirnrunzelnd ins Wochenende
Ihr Thomas Beier
Updates:
Knapp sechs Jahre später ist der Strukturwandel im öffentlichen Bewusstsein und in dem der Verantwortungsträger angekommen. Die Lösungsansätze zeigen: Mit der Abschaltung der braunkohlebasierten Industrie kommen neue Arbeitsplätze, die allerdings großenteils andere Qualifikationen verlangen. Ein Beispiel ist die Ansiedlung der Außenstelle des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhr in Weißwasser, ein anderes das CASUS-Institut in Görlitz. Für Unternehmen und andere Organisationen wird es immer stärker zum existenziellen Problem, sich die nötigen Fachleute zu sichern. Auf einige Aspekte in diesem Prozess geht ein Beitrag im Weißwasseraner Anzeiger vom 14. September 2021 ein.
Ein Beitrag, der im Weißwasseraner Anzeiger am 9. Dezember 2021 erschienen ist, widmet sich hingegen der sächsischen Industriegeschichte und richtet den Fokus auf das Sächsische Industriemuseum Chemnitz. Aus der Vergangenheit lässt sich schließlich auch was lernen.
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- Quelle: red | Kommentar: Thomas Beier
- Erstellt am 06.11.2015 - 17:45Uhr | Zuletzt geändert am 09.12.2021 - 20:55Uhr
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